Trauer am Arbeitsplatz – darf hier überhaupt getrauert werden?
- Theres Kirisits
- 5. Okt.
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 7. Okt.
Was passiert, wenn niemand darüber spricht
Wenn ein geliebter Mensch stirbt oder eine lebensverkürzende Diagnose bekannt wird, bricht die Welt für die Betroffenen in einem Moment zusammen. Vielleicht ist es ein Kind, eine Schwester, ein Elternteil, ein Partner oder jemand, mit dem man sein Leben geteilt hat. Erinnerungen, Rituale, Alltägliches – alles existiert plötzlich nur noch im Inneren.
Und dann kommt der Alltag zurück. Die Mails, Meetings, Deadlines, Geburtstagsgrüße. Die Welt dreht sich weiter, während die eigene stillsteht. Trauer lässt sich nicht planen. Sie passt in keine Kaffeepause und in keinen Report. Trotzdem wird von vielen erwartet, dass sie funktionieren.
Wie gehst du damit um, wenn jemand im Team trauert? Wie würdest du dir wünschen, dass mit dir umgegangen wird, wenn du selbst betroffen bist?

Wenn Leistung wichtiger ist als Menschlichkeit
Ich habe lange überlegt, ob ich meine persönliche Erfahrung teilen möchte. Elf Jahre war ich bei Booking.com angestellt, habe in unterschiedlichen Teams, Ländern und Rollen gearbeitet. Es war eine wertvolle, lehrreiche und prägende Zeit. Und doch gab es immer wieder Momente, in denen ich mich fragte: Wer darf ich als Mensch in der Arbeit eigentlich sein?
Über Urlaube, Hochzeiten oder Kinder wurde viel gesprochen. Doch sobald Themen wie Einsamkeit, Trennung, Krankheit oder Tod auftauchten, hieß es schnell: „Das ist privat.“ Als ich erwähnte, dass ich eine Ausbildung zur ehrenamtlichen Familienbegleiterin im Kinderhospiz mache, wurde mir gesagt: „Das ist zu traurig, das zieht die Stimmung runter.“ Oder alle wurden still, wenn ich davon gesprochen habe. Mit der Zeit habe ich deshalb aufgehört, von mir zu erzählen.
Ab diesem Moment begann ich auch zu hinterfragen, was Menschlichkeit am Arbeitsplatz eigentlich bedeutet.
Wann haben wir aufgehört, auch das Schwere miteinander zu teilen? Und was macht es mit uns, wenn wir so tun, als sei Arbeit ein Ort, an dem Gefühle keinen Platz haben dürfen?
1.007.758 Gründe, endlich hinzuschauen
Im Jahr 2024 sind in Deutschland 1.007.758 Menschen gestorben. Rund 140.000 davon waren zwischen 20 und 65 Jahren alt – also mitten im Berufsleben. Kolleg:innen, Eltern, Partner:innen, Freund:innen.
Wenn wir diese Zahlen betrachten, können wir uns dann wirklich noch einreden, dass Trauer „privat“ ist? Glauben wir, dass Menschen ihren Schmerz morgens an der Bürotür abgeben und als perfekt funktionierende Version ihrer selbst hereinkommen?
Trauer geht mit an den Arbeitsplatz, ob wir darüber sprechen oder nicht. Manche tragen eine Fassade, andere halten sich an der Arbeit fest, um nicht zu zerbrechen.
Und auch das gehört dazu: die Trauer nach einer Fehlgeburt oder Totgeburt. Ein Verlust, der oft unsichtbar bleibt, weil kaum jemand darüber spricht. Viele kehren viel zu früh an den Arbeitsplatz zurück – aus Pflichtgefühl, aus Angst, als „nicht belastbar“ zu gelten oder sogar, den Job zu verlieren. Dabei tragen sie eine unbegreifliche Leere in sich, die weder gesehen noch benannt wird. Diese Form der Trauer ist genauso real, genauso schmerzhaft und verdient denselben Raum, dieselbe Anerkennung und dasselbe Mitgefühl.

Wenn wir als Gesellschaft und als Unternehmen anerkennen, dass Trauer Teil des Lebens ist, würden wir verstehen: Sie gehört zu uns allen. Heute betrifft sie vielleicht deine Kollegen – morgen dich.
Fortbildungen für alles – außer fürs Mitgefühl
In meiner Zeit im Unternehmen habe ich unzählige Trainings besucht: Feedback, Leadership, Zeitmanagement, Sales, Präsentationstechniken. Aber nie eines zum Thema Trauer am Arbeitsplatz.
Warum? Weil das Thema unbequem ist. Und doch ist genau diese Unbequemlichkeit ein Zeichen dafür, dass es höchste Zeit ist, hinzuschauen.
Ein einziger Workshop im Jahr, der Führungskräften und Teams Orientierung gibt, würde bereits einen Unterschied machen – bevor der Ernstfall eintritt. Denn eines ist sicher: Er wird eintreten. Menschen werden Angehörige verabschieden – sie tun es bereits, nur spricht kaum jemand darüber. Kolleg:innen werden sterben. Und die Art, wie Unternehmen reagieren, entscheidet, ob Vertrauen wächst – oder zerbricht.
Das Schweigen nach dem Tod einer Kollegin
Zwei Monate bevor ich das Unternehmen verließ, starb eine Kollegin, mit der ich viele Jahre zusammengearbeitet hatte. Ich erfuhr es über Facebook, während ich im Urlaub auf Hawaii war – nicht von meinem Manager. Seine Begründung: Er wollte mich „nicht stören“.
Dieser Satz hat mich tief getroffen. Denn er zeigte, wie unvorbereitet viele Unternehmen sind, wenn es um Trauer geht.
Später wurde eine Psychologin engagiert, um das Team in einem einzigen Online-Treffen zu begleiten. Ich selbst, damals schon als Trauerbegleiterin tätig, bot meine Unterstützung an, doch mein Angebot wurde abgelehnt. Ein virtuelles Meeting zum Gedenken fand statt, aber viele, die eng mit ihr gearbeitet hatten, wurden nicht eingeladen. Das Feedback war verhalten, die Stimmung bedrückt – und kurz darauf wurde das Thema stillschweigend beendet.
Da wusste ich: Ich möchte an einem Ort arbeiten, an dem Menschlichkeit nicht endet, wenn jemand stirbt. Ich möchte, dass Trauer und Anerkennung einen Platz bekommt.
Menschen wie meine Kollegin, die so viel geben, auch Privates zurückstellen, um Dinge möglich zu machen, tragen mit ihrem Einsatz und Engagement oft wesentlich zum Erfolg eines Unternehmens bei. Sie bringen Wissen, Zeit und Loyalität ein – und genau deshalb verdienen sie Wertschätzung, nicht nur zu Lebezeiten sondern auch über den Tod hinaus. Und etwas ganz Entscheidendes wird oft übersehen: Mitarbeitende beobachten sehr genau, was passiert, wenn jemand im Unternehmen stirbt oder wie mit jemandem umgegangen wird, der einen geliebten Menschen verabschiedet hat. Sie spüren, ob Anteilnahme echt ist oder ob lieber geschwiegen wird. Und sie ziehen ihre eigenen Schlüsse. Im besten Fall entsteht Vertrauen und Verbundenheit. Im schlimmsten Fall entsteht Distanz und die Frage: Würde es mir hier genauso gehen? Und manchmal führt genau dieser Moment dazu, dass andere sich fragen, ob sie hier wirklich richtig sind.
Wie gehst du mit dem Tod in deinem Team um? Was brauchen Menschen, um in solchen Momenten nicht zu verstummen? Und was sagt unser Umgang mit Trauer über die Unternehmenskultur aus?
Warum sich Menschlichkeit auch wirtschaftlich lohnt
Unternehmen investieren Zeit und Geld in ihre Mitarbeitenden – in Trainings, Recruiting, Leadership. Doch wenn ein Mensch in einer Krise allein gelassen wird, verliert das Unternehmen weit mehr als Produktivität: Es verliert Vertrauen, Loyalität und Menschlichkeit.
Wer jahrelang Engagement, Wissen und Herz in seine Arbeit gesteckt hat, möchte in schwierigen Zeiten nicht auf Funktionalität reduziert werden. Eine Unternehmenskultur, die Trauer ignoriert, verliert langfristig nicht nur Menschen, sondern ihre eigene Glaubwürdigkeit.
Trauerkultur beginnt nicht im Ernstfall – sie beginnt heute
Aus all diesen Erfahrungen ist mein Online-Kurs trauer@work entstanden. Er zeigt, wie Unternehmen und Führungskräfte Trauer verstehen, begleiten und in ihre Kultur integrieren können – natürlich professionell, menschlich und alltagstauglich.
Warum es sich lohnt, das Thema aktiv anzugehen:
Ansprechperson im Team:
Nach dem Kurs bist du in deiner Rolle als Personalverantwortliche:r eine vertrauensvolle Ansprechperson, die Orientierung gibt und ein unterstützendes Miteinander stärkt.
Präventiv agieren:
Wie in einem Erste-Hilfe-Kurs wirst du in diesem Kurs klare Leitlinien für den Umgang mit Trauerfällen vermittelt. So schaffst du Strukturen, die Sicherheit geben und eine offene Unternehmenskultur fördern.
Handlungsfähig im Ernstfall:
Trauer am Arbeitsplatz bringt Unsicherheiten mit sich. Wie spricht man das Thema an? Wie kann man helfen? Nach diesem Kurs weißt du, wie du respektvoll und angemessen reagieren und Betroffenen aktiv zur Seite stehen.
Wiedereingliederung:
Der Wiedereinstieg in den Arbeitsalltag nach einem Verlust kann sich schwierig gestalten. Du lernst, wie du Betroffene sensibel begleiten, Bedürfnisse erkennen und für eine unterstützende Arbeitsumgebung sorgen.
Das Wissen aus dem Kurs wirkt weit über den Arbeitsplatz hinaus – auch im privaten Umfeld. Einmal erlernt, kann es immer wieder angewendet werden – sei es bei der Begleitung von Kollegen und Kolleginnen, Freunden und Freundinnen oder Familienmitgliedern.

Als Gründerin von t.rau*raum verbinde ich über elf Jahre internationale Business-Erfahrung mit meiner Tätigkeit als Trauerbegleiterin, Meditationslehrerin und ehrenamtliche Familienbegleiterin im Kinderhospiz. Diese Kombination ermöglicht es mir, konkrete Lösungen für eine menschliche und zugleich professionelle Trauerkultur in Unternehmen zu schaffen.
Erfahre mehr über den Kurs oder buche direkt unter: 👉 www.traueratwork.com
Fazit: Trauer braucht Platz – auch zwischen Mails und Meetings
Trauer ist keine Störung im System, sondern Teil unseres Menschseins. Sie erinnert uns daran, dass Arbeit nicht nur aus Zielen, sondern auch aus Beziehungen besteht. Wenn wir den Mut haben, Trauer am Arbeitsplatz sichtbar zu machen, schaffen wir nicht nur Raum für Schmerz – sondern auch für Mitgefühl, Vertrauen und echte Verbindung.

Ich freue mich, wenn du deine Gedanken in den Kommentaren teilst. Wenn du spürst, dass dein Unternehmen bereit ist, einen menschlicheren Umgang mit Trauer zu gestalten, schau dir meinen Kurs trauer@work an oder melde dich direkt bei mir. Lass uns gemeinsam dafür sorgen, dass Menschlichkeit auch im Arbeitsalltag ihren Platz hat.
Fotos: Melissa Eimecke-Beschorner
So voller Tiefe Theres,best berührend dein Beitrag, welche schöne Worte und Zeilen,bddieie genau den Punkt treffen, dieses Thema so abzubilden., mit Gefühl und Empathie verfasst. Braviz. GLG
Danke für diesen tiefgehenden und wichtigen Beitrag, Theres! Es berührt mich sehr, wie präzise und ehrlich du beschreibst, wie allgegenwärtig Trauer ist. Ich glaube, dein Artikel öffnet einen längst überfälligen Raum - für Verständnis, für Mitgefühl und dafür, dass wir Menschen unsere Gefühle nicht an der Bürotür abgeben müssen.
Besonders bemerkenswert finde ich deine Aussage, dass Trauer nicht nur etwas Privates ist, sondern Teil unserer Lebensrealität, und dass Unternehmen, die sie anerkennen und Raum dafür schaffen, nicht etwa Schwäche zeigen, sondern Verantwortung übernehmen.
Ich wünsche mir, dass mehr Arbeitsplätze eine Kultur entwickeln, in der es selbstverständlich ist, auch einmal eine Pause zu machen - nicht nur körperlich, sondern seelisch.